650 Jahre Solingen – Damals wie heute: Starke Frauen in der Nordstadt

Elfriede Dorp (1888-1970)

Die Remscheider Bäckerstochter heiratete am 27. April 1911 den Solinger Kaufmann Arthur Dorp. Als Unternehmer hatte Arthur Dorp 1907 in der Sonnenstraße Nr. 12-14 das dort noch heute bestehende Unternehmen Arthur Dorp GmbH & Co. gegründet. Diese Metallwarenfirma produzierte zunächst Rasierklingen und Maß- & Federbandstahlbleche. Heute produziert diese Firma rostbeständige, kalt- oder warmgewalzte Bänder, Bleche, Stäbe und Rohre aus Aluminium, Bronze, Kupfer, Messing, Neusilber oder Rotguss. Privat wohnte das Ehepaar Dorp in einer Jugendstilvilla in der Augustastraße, die seit langem der Arztfamilie Meinke gehört.

Nach dem Tod ihres Mannes 1957 war Elfriede Dorp dreizehn Jahre lang alleinige Geschäftsführerin und Mehrheitsgesellschafterin der Firma Dorp bis zu ihrem Tod 1970. Kurz vor ihrem Tod schenkte sie der Stadt Solingen eine wertvolle Kunstsammlung. Diese Schenkung begründete die städtische Kunstsammlung. Wegen dieser Schenkung erhielt Elfriede Dorp am 4. Juli 1969 den Ehrenring der Stadt Solingen. Im Übrigen führt ein unterirdischer Tunnel vom Fabrikgebäude der Firma Dorp den Hang hinauf in den Keller des heutigen Gesundheitszentrums in der Mummstr. 25.

Elisabeth Roock (1919-1995)      

Als Elisabeth Kaiser wurde Elisabeth Roock am 2. April 1919 in Mayen geboren. Nach ihrer Kriegshochzeit 1944 mit dem Ägyptologen Fritz Roock zog sie mit ihrem Sohn zu ihren Eltern nach Solingen; ihr Mann galt als vermisst. In Solingen arbeitete sie als Fräserin und Bohrerin bei den Vereinigten Schlüsselwerken in Solingen-Wald und wurde die erste weibliche Betriebsratsvorsitzende in ganz Solingen. Ab 1950 arbeitete sie im Arbeitsamt und wurde dort Abteilungsleiterin der Job-Vermittlung.

Als SPD-Mitglied wurde Elisabeth Roock in der Kommunalpolitik aktiv. Von 1970 bis 1984 gehörte sie dem Rat der Stadt Solingen an. Am 11. Januar 1973 wurde sie als eine der ersten Frauen ehrenamtliche Oberbürgermeisterin von Solingen. 1983 erhielt sie den Ehrenring der Stadt Solingen und 1991 den Verdienstorden des Landes NRW. Wegen ihres starken bürgernahen Engagements war Elisabeth Roock in der Solinger Bevölkerung sehr beliebt. Als Oberbürgermeisterin hatte sie ihren Amtssitz im Rathaus, also in der Nordstadt.

Friedel Geisler (1929-2011)

Friedel Geisler war eine gebürtige Berlinerin. Ihr Vater Heinrich Wiesemann war Prediger einer Freien Evangelischen Gemeinde. 1951 heiratete sie den Prediger Bernhard Geisler. Mit ihrem Ehemann und drei Kindern zog sie 1966 nach Solingen. In den siebziger Jahren studierte Friedel Geisler Sozialpädagogik, Theologie und Religionspädagogik in Mühlheim-Ruhr und Düsseldorf. Nach ihren Examen arbeitete sie für die städtische Jugend- und Drogenberatung („Funzel“) und als Jugendreferentin im Solinger Kirchenkreis. Am 1. Mai 1977 wurde sie in der Kapelle Frankenstraße zur Pastorin im Predigtdienst ordiniert und beendete danach noch verschiedene Ausbildungsgänge als Sozial- und Gruppenpsychologietherapeutin.

In den achtziger Jahren wurde Friedel Geisler zu einer der aktivsten Feministinnen („Frauen helfen Frauen“) und Dritte-Welt-Aktivistinnen in Solingen, gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Vereins „Städtefreundschaft mit Jinotega“ und radikalisierte ihre Sozialarbeit mit Gedanken aus

der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Diese Politisierung brachte sie in Konflikt mit der Evangelischen Amtskirche, aus der sie 1988 auf eigenen Wunsch ausschied. Im Ruhestand wohnte sie bis zu ihrem Tod in der Nordstadt in der Konrad-Adenauer-Straße.

Viola Wüsthof (geb. 1982)

Zusammen mit ihrem Cousin Harald Wüsthof ist die in Haan geborene Unternehmerin Viola Wüsthof Geschäftsführerin der Wüsthof GmbH in der Kronprinzenstraße 49. Diese Firma ist das größte Industrieunternehmen in der Solinger Nordstadt. Das markante Zeichen dieser schon 1814 gegründeten Firma in der siebten Generation ist der Dreizack. Viola Wüsthof studierte vor ihrem Einstieg in das traditionelle Familienunternehmen von 2006 bis 2010 an der FH Rhein-Sieg in Bonn Betriebswirtschaftslehre mit den beiden Schwerpunkten Marketing und internationales Management.

Die vielen verschiedenen Haushalts- und Küchenmesser von Wüsthof gehören in die obere Qualitäts- und Preisklasse. Die tägliche Produktion von etwa 7.500 Messern wird in mehr als 70 Länder der Erde exportiert, insbesondere in die USA. Das Unternehmen hat rund 250 Mitarbeiter und über 120 Roboter und gehört damit zu den größten Solinger Betrieben. Die Automatisierung der Messerproduktion hat bei Wüsthof einen Automatisierungsgrad wie bei kaum einem anderen Solinger Unternehmen erreicht.

Erna Rüppel (1895-1970)

Erna Rüppel aus der jüdischen Familie Marcus in Barmen gehört zu den Solinger Frauen, die jeweils als eine der ersten an Universitäten studierten. Sie promovierte bereits 1918 an der Universität Bonn zum Doktor der Medizin. Ihr folgten die beiden Solinger Frauen Jenny Gusyk, ebenfalls Jüdin, als examinierte Kauffrau 1921 an der Universität Köln und Christiane Sorge als promovierte Soziologin 1922 auch an der Universität Köln.

Zusammen mit ihrem Ehemann Hans Rüppel zog das Arztehepaar 1933 in die Augustastraße 10 mit Wohnung und Praxis ein. Der Nazi-Terror gegen das Ehepaar Rüppel gipfelte in einem Berufsverbot von Erna Rüppel 1938. Zwischen 1942 und 1943 hielt sich Erna Rüppel illegal in Solingen auf und arbeitete von 1943 bis zum Kriegsende unter falschem Namen als Krankenschwester in München. Ende 1945 nahm sie ihre Arbeit als Kinderärztin in Solingen wieder auf. Als Kinderärztin war Erna Rüppel in ganz Solingen beliebt und geschätzt. Vor ihrem Haus in der Augustastraße 10 wurde am 14. August 2018 ein Stolperstein verlegt.

Kaiserin Augusta (1811-1890)

Kaiserin Augusta hieß mit vollem Namen Maria Luise Augusta Catherina von Sachsen-Weimar-Eisenach und war die Ehefrau von Kaiser Wilhelm I., das heißt die erste deutsche Kaiserin nach der Reichsgründung von 1871. Sie begründete den Vaterländischen Frauenverein, der sich um verwundete und erkrankte Soldaten kümmerte. (Sie ist nicht mit der namentlich ähnlichen Kaiserin Auguste Victoria zu verwechseln, der Ehefrau von Kaiser Wilhelm II. und damit der letzten deutschen Kaiserin.)

Am 15. Sept. 1889 beschlossen die Solinger Stadtverordneten, die als Verbindung zwischen Kaiser- und Weyersberger Straße 1885 geplante und in den nächsten beiden Jahren ausgebaute Straße noch zu ihren Lebzeiten nach der Witwe des 1888 verstorbenen deutschen Kaisers und preußischen Königs Wilhelm I., Augusta, zu benennen. Die Repräsentanten und Honoratioren der Stadt Solingen fühlten sich aus diesem Anlass verpflichtet, ihre Verbundenheit mit der preußischen Monarchie auch in der Form von entsprechenden Straßenbenennungen auszudrücken. Das Benennungsdatum war der 13. September 1889.

Regine Weiß (geb. 1948)     

Regine Weiß wurde 1948 als Tochter der Kommunistin Änne Wagner geboren, die mit ihren 1988 vom Solinger Stadtarchiv veröffentlichten Erinnerungen unter dem Titel „Gegen den Strom?“ Stadtgeschichte schrieb. Die politisch aktive Regine Weiß war von 1971 bis 2014 als Solinger Lehrerin in der Grundschule in der Augustastraße tätig. Gegenwärtig ist sie in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der linken Partei „Solingen Aktiv“ und seit 2014 als Vorsitzende der Ortsgruppe NaturFreunde Theegarten des gemeinnützigen Vereins NaturFreunde Deutschlands aktiv.

Für die Nordstadt ist Regine Weiß an herausragender Stelle deswegen wichtig, weil sie zu den Mitbegründerinnen des „Café Courage“ in der Klemens-Horn-Straße 3 zählt. Das „Café Courage“ wurde 1994 gegründet und ist eine Begegnungsstätte vieler Bürgergruppen und -initiativen wie Attac, VVN-BdA, „Mama weiß Bescheid“, „Solingen gehört uns“ oder des Internationalen Frauenzentrums (IFZ) und muss in diesem Jahr wegen Kündigung schließen.

Saga (Sandra) Grünwald (geb. 1969)

Die Journalistin, Autorin und Verlegerin des Custos-Verlages wohnt in der Van-Meenen-Straße 20. Sie ist Feministin, Naturschützerin, Sozialaktivistin und bekennende Druidin. Unter ihren Pseudonymen Saga Greenwood, Saga Grünwald oder Sandy Green hat sie seit 2004 viele Gedichte, Märchen, Erzählungen und Romane veröffentlicht. Eines ihrer beeindruckendsten Bücher handelt von dem ungeheuer unaussprechlichen Thema von Bordellbetrieben in deutschen KZs.

In ihrem Custos-Verlag veröffentlichte sie 2012 unter dem Titel „Dafür“ Erzählungen über Menschenrechte zusammen mit der Solinger Ortsgruppe von Amnesty International, 2013 unter dem Titel „Verrückt nach Leben“ Erzählungen in Zusammenarbeit mit dem Palliativen Hospiz Solingen (PHoS) und 2015 unter dem Titel „Alles im Fluss“ eine Anthologie mit Beiträgen verschiedener Solinger Autoren.

Wer in der Nordstadt spazieren geht, wird Sandra Grünwald ganz schnell an ihren beiden angeleinten kleinen Hunden erkennen.

Mevlüde Genç (1943-2022)

Die deutsche Türkin Mevlüde Genç verließ ihr am Schwarzen Meer gelegenes Dorf Mercimek im Alter von dreißig Jahren und zog mit ihrem Mann Durmuş Genç als „Gastarbeiter“ nach Solingen. In der Nacht zum 29. Mai 1993 wurden durch einen Brandanschlag auf das Haus der Familie in Solingen Genç in der Unteren Werner Straße 81 zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkelinnen von Mevlüde Genç von vier jugendlichen Neonazis ermordet. In dieser Nacht war Durmuş Genç als Nachtschichtarbeiter in der Textilfabrik Olbo in Ohligs nicht zuhause. Im jährlichen Gedenken an diese Mordnacht findet am 29. Mai eine Andacht an einem Denkmal der Künstlerin Sabine Mertens vor dem Mildred-Scheel-Berufskolleg statt.

Die konservative und tiefreligiöse Muslima aus der DITIP-Moschee in der Kasernenstraße 31 Mevlüde Genç bezeugte öffentlich vielfach ihre Vergebung und ihren Friedenswillen: „Obwohl ich fünf Kinder und mein Zuhause verloren habe, bezeuge ich trotzdem Zuneigung. Wir sind alle Brüder. Das lässt sich auch durch Verbrennen und Kaputtmachen nicht verhindern.“ Nach ihrem Tod wurde 2023 der kleine Platz vor dem Mehrgenerationenhaus in der Van-Meenen-Straße 1 Mevlüde-Genç-Platz benannt.

Liza Nonnenberg (geb. 1967)

Unter ihrem Mädchennamen Canaj wurde die albanische Schneiderin Liza Nonnenberg im früheren Jugoslawien in Prizren geboren. Die malerische und aus dem Mittelalter stammende Stadt Prizren ist die zweitgrößte Stadt im heutigen Kosovo. Liza Nonnenberg ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und ist katholisch. Sie ist Gründungsmitglied des Vereins „Bunte Nordstadt“.

Von 2004 bis 2022 betrieb sie unter dem Namen „Bei Liza“ eine Änderungsschneiderei in einem Pavillon in der Augustastraße 15. Ihre dortige Schneiderei war jahrelang der kommunikative Dreh- und Angelpunkt in der gesamten Nordstadt, eine informelle Informationsbörse zum Töttern und Kaffee trinken. Neben ihrer Arbeit pflegte Liza Nonnenberg dort auch an Demenz erkrankte alte Frauen, beriet geschiedene Frauen, übernahm für sie Gänge zu Behörden und half ihnen bei der Suche nach Schul- und Kitaplätzen für ihre Kinder. Seit 2015 arbeitet Liza Nonnenberg als ehrenamtliche Übersetzerin für das kommunale Integrationsbüro. Ihr Nähstube hat sie heute in der Augustastraße 37.

Christel Küll-Golla (geb. 1934)

Geboren 1934 besuchte Christel Küll-Golla nach ihrem Abitur die Hotelfachschule in Bad Reichenhall, was für Frauen damals eine neuartige Berufsrolle war. 1961 übernahm sie zusammen mit ihrer Mutter Margarete die Leitung des Garni-Hotels „Zum Roten Ochsen“ in der heutigen Konrad-Adenauer-Str. 20, das sich früher unter der Adresse Im Höfchen befand (heute Walter-Scheel-Platz). Wegen der Erweiterung der Schlagbaumkreuzung und des Rathausneubaus musste das Hotelgebäude Im Höfchen enteignet werden. Wegen dieser Enteignung lag Christel Küll-Golla lange im Rechtsstreit mit der Stadt Solingen, doch das alte Gebäude wurde 1976 abgerissen. Das neue Gebäude in der Konrad-Adenauer-Straße wurde am 12. Dezember 1978 in Betrieb genommen. Der Gaststättenname „Zum Roten Ochsen“ verrät seine Herkunft, denn dieses Hotel und Restaurant wurde 1887 durch den Metzgermeister Hugo Küll und seine Ehefrau Helene Küll (geb. Ommer) in der damaligen Kaiserstr. 276 gegründet, bekannt als Külls Eck.

2003 und 2018 erhielt Christel Küll-Golla durch den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e.V (DEHOGA) NRW zwei Anerkennungsurkunden. Die sehr selbstbewusste Hotelkauffrau Christel Küll-Golla war jahrelang Solinger Sektionsleiterin der Vereinigung ehemaliger Hotelfachschüler Bad Reichenhall und 2017 Gründungsmitglied des Bürgervereins „Bunte Nordstadt“. Christel Küll-Golla hat ihr Hotel mit viel Engagement bis ins hohe Alter geführt.

Haiat Chanfouh (geb. 1971)

Die in der marokkanischen Großstadt Nador 1971 geborene Verkäuferin ist seit vielen Jahren Solinger Bügerin mit Wohnsitz in der Nordstadt; sie hat drei erwachsene Kinder. Sie selbst sieht sich als Frauenrechtlerin und soziale Aktivistin. Als Gründungsmitglied und Zweite Vorsitzende des Vereins „Internationales Frauen Zentrum“ (IFZ) ist sie häufig am Sitz dieses Zentrums im Café Courage in der Klemens-Horn-Straße 3 anzutreffen. Das 2008 gegründete IFZ setzt sich für bessere Lebensbedingungen von Frauen und Familien ein, unterstützt Frauen bei Rechtsfragen und begleitet sie bei Behördengängen, Arztbesuchen und Besuchen in Schulen und in Kitas.

Die Sozialarbeiterin Haiat Chanfouh arbeitete früher in einem Altenheim und ist zur Zeit in einer Beatmungs-Wohngemeinschaft tätig, also einer Wohngruppe von beatmeten Patienten, die intensivmedizinisch rund um die Uhr betreut werden. Im IFZ leitet sie den Gesprächskreis „Mama weiß Bescheid“ und ist Stadtteilfrau in der Nordstadt. Seit kurzem ist sie auch Inhaberin des MediTransport Haiat, das Krankenfahrten durchführt. Außerdem ist sie Mitglied in der Arabischen Mesjid Nur-Moschee in der Florastraße 14b.

Marianne Dessauer (1911-1941)

Die Jüdin Marianne Dessauer war die Tochter von Samuel Dessauer und Johanna Loeb. Samuel Dessauer betrieb zusammen mit seinem Bruder Hermann Dessauer in der Rathausstraße eine Stahlwarenfirma. Mit ihren Kindern Marianne und Heinz bezog die Familie Dessauer 1933 eine Wohnung in der Weststraße 6, der heutigen Klemens-Horn-Straße 6.

Im Januar 1939 entkam Heinz Dessauer dem Nazi-Terror durch Flucht in die Niederlande, wurde dort aber gefangen genommen und in das KZ Mauthausen überführt, wo er 1943 ermordet wurde. Seine schwerkranke Schwester Marianne wurde 1940 über die „Heil- und Pflegeanstalt“ Galkhausen im Rahmen der „T4“-Aktion zur systematischen Tötung von Menschen mit Behinderungen in die Tötungsanstalt Hadamar im Westerwald deportiert, wo sie am 14. Februar 1941 ermordet wurde.

In Erinnerung an Samuel, Heinz und Marianne Dessauer wurden am 28. Mai 2004 drei Stolpersteine verlegt. Diese drei Gedenksteine waren die ersten Stolpersteine, die im Beisein des damaligen Oberbürgermeisters Franz Haug in die Erde versenkt wurden.

Anna Kupperschlag (1894-1944)

Als Anna Isaac des Textilwarengeschäftsinhabers Nathan Isaac wurde sie am 20. August 1894 in Solingen geboren. Am 17. Oktober 1923 heiratete sie den Barmer Kaufmann Josef Kupperschlag. 1925 und 1926 kamen ihre beiden Kinder Ruth und Marion zur Welt. Aufgrund des Nazi-Terrors musste Josef Kupperschlag sein Geschäft schließen und musste deswegen 1936 in eine kleinere Wohnung in der Klemens-Horn-Straße 15 umziehen. In der Progromnacht am 9. November 1938 zerstörte ein wütender Solinger Mob den gesamten Hausrat der Familie Kupperschlag.     

Am 22. Juni 1942 wurden Anna und Josef Kupperschlag zusammen mit anderen Juden in das KZ Theresienstadt verschleppt und am 21. Juli 1942 im KZ Auschwitz durch Vergasung ermordet.

Die beiden Gedenksteine für Anna und Josef Kupperschlag wurden vor ihrer ehemaligen Wohnung in der Klemens-Horn-Straße 15 am 20. Januar 2007 verlegt.

Die Lieferfrauen

Lieferfrauen sind in der Solinger Handwerksgeschichte die Frauen, die in einem Korb auf ihrem Kopf die Rohware für die Produktion von Messern und Scheren von Schleifkotten und anderen Gewerken zur Ablieferung beim Auftraggeber tragen. Der Transport von Gütern auf dem Kopf geschah in Solingen bis in die zwanziger Jahre, wird heute aber noch in vielen schwarzafrikanischen Ländern praktiziert. Mit einer bestimmten Gangtechnik und einem genialen Hüftschwung können Frauen auf diese Weise 20 Prozent ihres Körpergewichts auf ihrem eigenen Kopf tragen. Die Solinger Lieferfrauen trugen auf ihrem Kopf ein Gewicht von 15 bis 25 Kilogramm.

Die vielen verschlungenen und langen Wege der Solinger Lieferfrauen von den Wupperbächen bis zu den verschiedenen Fabrikkontoren in der Stadt sind inzwischen gut über einen ausgeschilderten „Liewerfrauenwanderweg“ zu erkunden. Vgl. dazu https://www.bergisches-wanderland.de/bergische-streifzuege/alle-streifzuege/25-liewerfrauenweg-solingen-155-km. In der Solinger Nordstadt führte der Wanderweg der Lieferfrauen u. a. auch zur seit langem stillgelegten Dampfschleiferei Berrenberg in einem Hinterhof in der Postdamer Straße 15A. Nach der Arbeit trafen sich die Lieferfrauen gerne zu einem Kaffeklatsch im Café Kramer am Fronhof.

Die unbekannte Arbeiterin

In der hierarchischen und von Männern dominierten Arbeitswelt stehen Frauen zweimal ganz unten, zum einen als Frau und zum anderen als stets schlechter bezahlte Arbeitskraft. Bedenkt man ferner, dass die von Armut geprägte Arbeiterkultur immer nur eine mündlich geprägte Welt war, in der es auch kein Geld für Fotografie gab, dann wird klar, warum es kaum Fotos einer individuellen Solinger Arbeiterin gibt. Dennoch lief gerade in der Solinger Metallwarenindustrie ohne Frauen nichts.

Frauen arbeiteten nicht nur in den Putz- und Packstuben der Schneidwarenindustrie, sondern auch in der Montage der Gießerei- und Gesenkschmiedebetriebe. Ganze Industriezweige, wie z. B. die Schirmindustrie mit dem Knirps der Bremshey AG an erster Stelle, basieren im Wesentlichen auf Frauenarbeit. In beiden Weltkriegen ersetzten Frauen als industrielle Reservearmee die Männer in der Solinger Rüstungsindustrie.

Gemessen an diesen Benachteiligungen von Frauen in der Solinger Metallwarenindustrie wird die herausragende Karriere der SPD-Politikerin Elisabeth Roock von einer Fräserin in einem Metallwarenbetrieb zur Oberbürgermeisterin besonders deutlich.